Arthur Schopenhauer,
Die Kunst, Recht zu behalten, 1830
[Das fast fertige Manuskript fand sich ohne
Überschriften in Schopenhauers Nachlaß. Es entstand
vermutlich um 1830 ; der
Text wurde unter verschiedenen Titeln wie
« Dialektik », « Eristische
Dialektik » oder « Die Kunst, Recht zu
behalten »
veröffentlicht.]
Eristische Dialektik [1]
ist die Kunst zu disputieren, und zwar so zu
disputieren, daß man Recht behält, also per fas et nefas
[mit Recht wie mit
Unrecht] [2]. Man kann nämlich in der Sache
selbst objective Recht haben und doch in den Augen der Beisteher,
ja
bisweilen in seinen eignen, Unrecht behalten.
Wann nämlich der Gegner meinen Beweis widerlegt, und dies
als
Widerlegung der Behauptung selbst gilt, für
die es jedoch andre Beweise geben kann ; in welchem Fall
natürlich für den
Gegner das Verhältnis umgekehrt ist : er
behält Recht, bei objektivem Unrecht. Also die objektive
Wahrheit eines Satzes
und die Gültigkeit desselben in der
Approbation der Streiter und Hörer sind zweierlei. (Auf
letztere ist die Dialektik
gerichtet.)
Woher kommt das ? – Von der
natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts.
Wäre diese nicht, wären wir von
Grund aus ehrlich, so würden wir bei jeder
Debatte bloß darauf ausgehn, die Wahrheit zu Tage
zufördern, ganz
unbekümmert ob solche unsrer zuerst
aufgestellten Meinung oder der des Andern gemäß ausfiele:
dies würde gleichgültig,
oder wenigstens ganz und gar Nebensache sein.
Aber jetzt ist es Hauptsache. Die angeborne Eitelkeit, die
besonders
hinsichtlich der Verstandeskräfte reizbar
ist, will nicht haben, daß was wir zuerst aufgestellt, sich
als falsch und das des
Gegners als Recht ergebe. Hienach hätte nun
zwar bloß jeder sich zu bemühen, nicht anders als richtig
zu urteilen : wozu er
erst denken und nachher sprechen müßte.
Aber zur angebornen Eitelkeit gesellt sich bei den Meisten
Geschwätzigkeit und
angeborne Unredlichkeit. Sie reden, ehe sie
gedacht haben, und wenn sie auch hinterher merken, daß ihre
Behauptung
falsch ist und sie Unrecht haben ; so soll es
doch scheinen, als wäre es umgekehrt. Das Interesse für
die Wahrheit, welches
wohl meistens bei Aufstellung des vermeintlich
wahren Satzes das einzige Motiv gewesen, weicht jetzt ganz dem
Interesse
der Eitelkeit : wahr soll falsch und falsch soll
wahr scheinen. Jedoch hat selbst diese Unredlichkeit, das Beharren
bei einem
Satz, der uns selbst schon falsch scheint, noch
eine Entschuldigung : oft sind wir anfangs von der Wahrheit
unsrer
Behauptung fest überzeugt, aber das Argument
des Gegners scheint jetzt sie umzustoßen ; geben wir jetzt
ihre Sache gleich
auf, so finden wir oft hinterher, daß wir
doch Recht haben : unser Beweis war falsch ; aber es konnte
für die Behauptung
einen richtigen geben : das rettende Argument war
uns nicht gleich beigefallen. Daher entsteht nun in uns die
Maxime,
selbst wann das Gegenargument richtig und
schlagend scheint, doch noch dagegen anzukämpfen, im Glauben,
daß dessen
Richtigkeit selbst nur scheinbar sei, und uns
während des Disputierens noch ein Argument, jenes
umzustoßen, oder eines,
unsre Wahrheit anderweitig zu bestätigen,
einfallen werde : hiedurch werden wir zur Unredlichkeit im
Disputieren beinahe
genötigt, wenigstens leicht verführt.
Diesergestalt unterstützen sich wechselseitig die
Schwäche unsers Verstandes und die
Verkehrtheit unsers Willens. Daraus kommt es,
daß wer disputiert, in der Regel nicht für die Wahrheit,
sondern für seinen
Satz kämpft, wie pro ara et focis [für
Heim & Herd], und per fas et nefas verfährt, ja wie
gezeigt nicht anders kann. Jeder
also wird in der Regel wollen seine Behauptung
durchsetzen, selbst wann sie ihm für den Augenblick falsch
oder
zweifelhaft scheint [3]. Die Hilfsmittel hiezu
gibt einem jeden seine eigne Schlauheit und Schlechtigkeit
einigermaßen an
die Hand : dies lehrt die tägliche Erfahrung
beim Disputieren ; es hat also jeder seine natürliche
Dialektik, so wie er seine
natürliche Logik hat. Allein jene leitet ihn
lange nicht so sicher als diese. Gegen logische Gesetze denken,
oder schließen,
wird so leicht keiner : falsche Urteile sind
häufig, falsche Schlüsse höchst selten. Also Mangel
an natürlicher Logik zeigt
ein Mensch nicht leicht ; hingegen wohl Mangel an
natürlicher Dialektik : sie ist eine ungleich ausgeteilte
Naturgabe
(hierin der Urteilskraft gleich, die sehr
ungleich ausgeteilt ist, die Vernunft eigentlich gleich). Denn
durch bloß scheinbare
Argumentation sich konfundieren, sich refutieren
lassen, wo man eigentlich Recht hat, oder das umgekehrte, geschieht
oft ;
und wer als Sieger aus einem Streit geht,
verdankt es sehr oft, nicht sowohl der Richtigkeit seiner
Urteilskraft bei
Aufstellung seines Satzes, als vielmehr der
Schlauheit und Gewandtheit, mit der er ihn verteidigte. Angeboren
ist hier wie
in allen Fällen das beste [4] : jedoch kann
Übung und auch Nachdenken über die Wendungen, durch die
man den Gegner
wirft, oder die er meistens gebraucht, um zu
werfen, viel beitragen, in dieser Kunst Meister zu werden. Also
wenn auch die
Logik wohl keinen eigentlich praktischen Nutzen
haben kann : so kann ihn die Dialektik allerdings haben. Mir
scheint auch
Aristoteles seine eigentliche Logik (Analytik)
hauptsächlich als Grundlage und Vorbereitung zur Dialektik
aufgestellt zu
haben und diese ihm die Hauptsache gewesen zu
sein. Die Logik beschäftigt sich mit der bloßen Form der
Sätze, die
Dialektik mit ihrem Gehalt oder Materie, dem
Inhalt : daher eben mußte die Betrachtung der Form als des
allgemeinen der
des Inhalts als des besonderen vorhergehn.
Aristoteles bestimmt den Zweck der Dialektik
nicht so scharf wie ich getan : er gibt zwar als Hauptzweck das
Disputieren
an, aber zugleich auch das Auffinden der Wahrheit
(Topik, I, 2) ; später sagt er wieder : man behandle die
Sätze
philosophisch nach der Wahrheit, dialektisch nach
dem Schein oder Beifall, Meinung Andrer (doxa) Topik, I, 12. Er
ist
sich der Unterscheidung und Trennung der
objektiven Wahrheit eines Satzes von dem Geltendmachen desselben
oder dem
Erlangen der Approbation zwar bewußt ;
allein er hält sie nicht scharf genug auseinander, um der
Dialektik bloß letzteres
anzuweisen [5]. Seinen Regeln zu letzterem Zweck
sind daher oft welche zum ersteren eingemengt. Daher es mir
scheint,
daß er seine Aufgabe nicht rein gelöst
hat [6] . Aristoteles hat in den Topicis die Aufstellung der
Dialektik mit seinem
eignen wissenschaftlichen Geist äußerst
methodisch und systematisch angegriffen, und dies verdient
Bewunderung, wenn
gleich der Zweck, der hier offenbar praktisch
ist, nicht sonderlich erreicht worden. Nachdem er in den Analyticis
die
Begriffe, Urteile und Schlüsse der reinen
Form nach betrachtet hatte, geht er nun zum Inhalt über, wobei
er es eigentlich
nur mit den Begriffen zu tun hat : denn in diesen
liegt ja der Gehalt. Sätze und Schlüsse sind rein
für sich bloße Form : die
Begriffe sind ihr Gehalt [7]. – Sein Gang
ist folgender. Jede Disputation hat eine Thesis oder Problem (diese
differieren
bloß in der Form) und dann Sätze, die
es zu lösen dienen sollen. Es handelt sich dabei immer um das
Verhältnis von
Begriffen zu einander. Dieser Verhältnisse
sind zunächst vier. Man sucht nämlich von einem Begriff,
entweder 1. seine
Definition, oder 2. sein Genus, oder 3. sein
Eigentümliches, wesentliches Merkmal, proprium, idion, oder 4.
sein accidens,
d. i. irgend eine Eigenschaft, gleichviel ob
Eigentümliches und Ausschließliches oder nicht, kurz ein
Prädikat. Auf eins
dieser Verhältnisse ist das Problem jeder
Disputation zurückzuführen. Dies ist die Basis der ganzen
Dialektik. In den acht
Büchern derselben stellt er nun alle
Verhältnisse, die Begriffe in jenen vier Rücksichten
wechselseitig zu einander haben
können, auf und gibt die Regeln für
jedes mögliche Verhältnis ; wie nämlich ein Begriff
sich zum andern verhalten müsse,
um dessen proprium, dessen accidens, dessen
genus, dessen definitum oder Definition zu sein : welche Fehler bei
der
Aufstellung leicht gemacht werden, und jedesmal
was man demnach zu beobachten habe, wenn man selbst ein
solches
Verhältnis aufstellt (kataskeuazein), und
was man, nachdem der andre es aufgestellt, tun könne, es
umzustoßen
(anaskeuazein). Die Aufstellung jeder solchen
Regel oder jedes solchen allgemeinen Verhältnisses jener
Klassen-Begriffe
zu einander nennt er topoV, locus, und gibt 382
solcher topoi : daher Topica. Diesem fügt er noch einige
allgemeine Regeln
bei, über das Disputieren überhaupt,
die jedoch lange nicht erschöpfend sind.
Der topoV ist also kein rein materieller, bezieht
sich nicht auf einen bestimmten Gegenstand, oder Begriff ; sondern
er
betrifft immer ein Verhältnis ganzer Klassen
von Begriffen, welches unzähligen Begriffen gemein sein kann,
sobald sie zu
einander in einer der erwähnten vier
Rücksichten betrachtet werden, welches bei jeder Disputation
statt hat. Und diese vier
Rücksichten haben wieder untergeordnete
Klassen. Die Betrachtung ist hier also noch immer
gewissermaßen formal,
jedoch nicht so rein formal wie in der Logik, da
sie sich mit dem Inhalt der Begriffe beschäftigt, aber auf
eine formelle
Weise, nämlich sie gibt an, wie der Inhalt
des Begriffs A sich verhalten müsse zu dem des Begriffs B,
damit dieser
aufgestellt werden könne als dessen genus
oder dessen proprium (Merkmal) oder dessen accidens oder dessen
Definition
oder nach den diesen untergeordneten Rubriken,
von Gegenteil antikeimenon, Ursache und Wirkung, Eigenschaft
und
Mangel usw. : und um ein solches Verhältnis
soll sich jede Disputation drehen. Die meisten Regeln, die er nun
eben als
topoi über diese Verhältnisse angibt,
sind solche, die in der Natur der Begriffsverhältnisse liegen,
deren jeder sich von
selbst bewußt ist, und auf deren Befolgung
vom Gegner er schon von selbst dringt, eben wie in der Logik, und
die es
leichter ist im speziellen Fall zu beobachten
oder ihre Vernachlässigung zu bemerken, als sich des
abstrakten topoV
darüber zu erinnern: daher eben der
praktische Nutzen dieser Dialektik nicht groß ist. Er sagt
fast lauter Dinge, die sich von
selbst verstehn und auf deren Beachtung die
gesunde Vernunft von selbst gerät. Beispiele :
« Wenn von einem Dinge das genus behauptet
wird, so muß ihm auch irgend eine species dieses genus
zukommen ; ist dies
nicht, so ist die Behauptung falsch : z. B. es
wird behauptet, die Seele habe Bewegung ; so muß ihr irgend
eine bestimmte
Art der Bewegung eigen sein, Flug, Gang,
Wachstum, Abnahme usw. – ist dies nicht, so hat sie auch
keine Bewegung. –
Also wem keine Spezies zukommt, dem auch nicht
das genus : das ist der topoV. » Dieser topoV gilt zum
Aufstellen und
zum Umwerfen. Es ist der neunte topoV. Und
umgekehrt : wenn das Genus nicht zukommt, kommt auch keine Spezies
zu :
z. B. Einer soll (wird behauptet) von einem
Andern schlecht geredet haben : – Beweisen wir, daß er
gar nicht geredet hat,
so ist auch jenes nicht : denn wo das genus nicht
ist, kann die Spezies nicht sein. Unter der Rubrik des
Eigentümlichen,
proprium, lautet der 215. locus so : «
Erstlich zum Umstoßen : wenn der Gegner als
Eigentümliches etwas angibt, das nur
sinnlich wahrzunehmen ist, so ists schlecht
angegeben : denn alles Sinnliche wird ungewiß, sobald es aus
dem Bereich der
Sinne hinaus kommt : z. B. er setzt als
Eigentümliches der Sonne, sie sei das hellste Gestirn, das
über die Erde zieht : – das
taugt nicht : denn wenn die Sonne untergegangen,
wissen wir nicht ob sie über die Erde zieht, weil sie dann
außer dem
Bereich der Sinne ist. – Zweitens zum
Aufstellen : das Eigentümliche wird richtig angegeben, wenn
ein solches aufgestellt
wird, das nicht sinnlich erkannt wird, oder wenn
sinnlich erkannt, doch notwendig vorhanden : z. B. als
Eigentümliches der
Oberfläche werde angegeben, daß sie
zuerst gefärbt wird ; so ist dies zwar ein sinnliches Merkmal,
aber ein solches, das
offenbar allezeit vorhanden, also richtig. »
– Soviel um Ihnen einen Begriff von der Dialektik des
Aristoteles zu geben. Sie
scheint mir den Zweck nicht zu erreichen : ich
habe es also anders versucht. Cicero’s Topica sind eine
Nachahmung der
Aristotelischen aus dem Gedächtnis :
höchst seicht und elend ; Cicero hat durchaus keinen
deutlichen Begriff von dem, was
ein topus ist und bezweckt, und so radotiert er
ex ingenio allerhand Zeug durcheinander, und staffiert es reichlich
mit
juristischen Beispielen aus. Eine seiner
schlechtesten Schriften. Um die Dialektik rein aufzustellen
muß man, unbekümmert
um die objektive Wahrheit (welche Sache der Logik
ist), sie bloß betrachten als die Kunst, Recht zu behalten,
welches
freilich um so leichter sein wird, wenn man in
der Sache selbst Recht hat. Aber die Dialektik als solche muß
bloß lehren,
wie man sich gegen Angriffe aller Art, besonders
gegen unredliche verteidigt, und eben so wie man selbst angreifen
kann,
was der Andre behauptet, ohne sich selbst zu
widersprechen und überhaupt ohne widerlegt zu werden. Man
muß die
Auffindung der objektiven Wahrheit rein trennen
von der Kunst, seine Sätze als wahr geltend zu machen : jenes
ist
[Aufgabe] einer ganz andern pragmateia, es ist
das Werk der Urteilskraft, des Nachdenkens, der Erfahrung, und gibt
es
dazu keine eigne Kunst ; das zweite aber ist der
Zweck der Dialektik. Man hat sie definiert als die Logik des
Scheins :
falsch : dann wäre sie bloß brauchbar
zur Verteidigung falscher Sätze ; allein auch wenn man Recht
hat, braucht man
Dialektik, es zu verfechten, und muß die
unredlichen Kunstgriffe kennen, um ihnen zu begegnen ; ja oft
selbst welche
brauchen, um den Gegner mit gleichen Waffen zu
schlagen. Dieserhalb also muß bei der Dialektik die objektive
Wahrheit
bei Seite gesetzt oder als akzidentell betrachtet
werden : und bloß darauf gesehn werden, wie man seine
Behauptungen
verteidigt und die des Andern umstößt ;
bei den Regeln hiezu darf man die objektive Wahrheit nicht
berücksichtigen, weil
meistens unbekannt ist, wo sie liegt [8] : oft
weiß man selbst nicht, ob man Recht hat oder nicht, oft glaubt
man es und irrt
sich, oft glauben es beide Teile : denn veritas
est in puteo ( en buJv h alhJeia, Demokrit) ; beim Entstehn des
Streits glaubt
in der Regel jeder die Wahrheit auf seiner Seite
zu haben : beim Fortgang werden beide zweifelhaft : das Ende soll
eben
erst die Wahrheit ausmachen, bestätigen.
Also darauf hat sich die Dialektik nicht einzulassen : so wenig wie
der
Fechtmeister berücksichtigt, wer bei dem
Streit, der das Duell herbeiführte, eigentlich Recht hat :
treffen und parieren,
darauf kommt es an, eben so in der Dialektik :
sie ist eine geistige Fechtkunst ; nur so rein gefaßt, kann
sie als eigne
Disziplin aufgestellt werden : denn setzen wir
uns zum Zweck die reine objektive Wahrheit, so kommen wir auf
bloße
Logik zurück ; setzen wir hingegen zum Zweck
die Durchführung falscher Sätze, so haben wir bloße
Sophistik. Und bei
beiden würde vorausgesetzt sein, daß
wir schon wüßten, was objektiv wahr und falsch ist : das
ist aber selten zum voraus
gewiß. Der wahre Begriff der Dialektik ist
also der aufgestellte : geistige Fechtkunst zum Rechtbehalten im
Disputieren,
obwohl der Name Eristik passender wäre : am
richtigsten wohl Eristische Dialektik : Dialectica eristica. Und
sie ist sehr
nützlich : man hat sie mit Unrecht in neuern
Zeiten vernachlässigt.
Da nun in diesem Sinne die Dialektik bloß
eine auf System und Regel zurückgeführte Zusammenfassung
und Darstellung
jener von der Natur eingegebnen Künste sein
soll, deren sich die meisten Menschen bedienen, wenn sie merken,
daß im
Streit die Wahrheit nicht auf ihrer Seite liegt,
um dennoch Recht zu behalten ; – so würde es auch
dieserhalb sehr
zweckwidrig sein, wenn man in der
wissenschaftlichen Dialektik auf die objektive Wahrheit und deren
Zutageförderung
Rücksicht nehmen wollte, da es in jener
ursprünglichen und natürlichen Dialektik nicht geschieht,
sondern das Ziel bloß
das Rechthaben ist. Die wissenschaftliche
Dialektik in unserm Sinne hat demnach zur Hauptaufgabe, jene
Kunstgriffe der
Unredlichkeit im Disputieren aufzustellen und zu
analysieren : damit man bei wirklichen Debatten sie gleich erkenne
und
vernichte. Eben daher muß sie in ihrer
Darstellung eingeständlich bloß das Rechthaben, nicht die
objektive Wahrheit, zum
Endzweck nehmen. Mir ist nicht bekannt, daß
in diesem Sinne etwas geleistet wäre, obwohl ich mich weit und
breit
umgesehn habe [9] : es ist also ein noch
unbebautes Feld. Um zum Zwecke zu kommen, müßte man aus
der Erfahrung
schöpfen, beachten, wie, bei den im Umgange
häufig vorkommenden Debatten, dieser oder jener Kunstgriff von
einem und
dem andern Teil angewandt wird, sodann die unter
andern Formen wiederkehrenden Kunstgriffe auf ihr Allgemeines
zurückführen, und so gewisse allgemeine
Stratagemata aufstellen, die dann sowohl zum eignen Gebrauch, als
zum
Vereiteln derselben, wenn der Andre sie braucht,
nützlich wären.
Folgendes sei als erster Versuch zu
betrachten.
Basis aller Dialektik
Zuvörderst ist zu betrachten das Wesentliche
jeder Disputation, was eigentlich dabei vorgeht.
Der Gegner hat eine These aufgestellt (oder wir
selbst, das ist gleich). Sie zu widerlegen, gibts zwei Modi und
zwei Wege.
1. Die Modi : a) ad rem, b) ad hominem, oder ex
concessis : d. h. wir zeigen entweder, daß der Satz nicht
übereinstimmt
mit der Natur der Dinge, der absoluten objektiven
Wahrheit ; oder aber nicht mit andern Behauptungen oder
Einräumungen
des Gegners, d. h. mit der relativen subjektiven
Wahrheit : letzteres ist nur eine relative Überführung
und macht nichts aus
über die objektive Wahrheit.
2. Die Wege : a) direkte Widerlegung, b)
indirekte. – Die direkte greift die These bei ihren
Gründen an, die indirekte bei
ihren Folgen : die direkte zeigt, daß die
These nicht wahr ist, die indirekte daß sie nicht wahr sein
kann.
1. Bei der direkten können wir zweierlei.
Entweder wir zeigen, daß die Gründe seiner Behauptung
falsch sind (nego
majorem ; minorem) : – oder wir geben die
Gründe zu, zeigen aber, daß die Behauptung nicht daraus
folgt (nego
consequentiam), greifen also die Konsequenz, die
Form des Schlusses an.
2. Bei der indirekten Widerlegung gebrauchen wir
entweder die Apagoge oder die Instanz.
a) Apagoge : wir nehmen seinen Satz als wahr an ;
und nun zeigen wir, was daraus folgt, wenn wir in Verbindung
mit
irgend einem andern als wahr anerkannten Satze
selbigen als Prämisse zu einem Schlusse gebrauchen, und nun
eine
Konklusion entsteht, die offenbar falsch ist,
indem sie entweder der Natur der Dinge [10], oder den andern
Behauptungen
des Gegners selbst widerspricht, also ad rem oder
ad hominem falsch ist (Sokrates in Hippia maj. et alias) : folglich
auch
der Satz falsch war :denn aus wahren
Prämissen können nur wahre Sätze folgen, obwohl aus
falschen nicht immer falsche.
b) Die Instanz, enstatiV, exemplum in contrarium
: Widerlegung des allgemeinen Satzes durch direkte
Nachweisung
einzelner unter seiner Aussage begriffner
Fälle, von denen er doch nicht gilt, also selbst falsch sein
muß. Dies ist das
Grundgerüst, das Skelett jeder Disputation :
wir haben also ihre Osteologie. Denn hierauf läuft im Grunde
alles Disputieren
zurück : aber dies alles kann wirklich oder
nur scheinbar, mit echten oder mit unechten Gründen geschehn ;
und weil
hierüber nicht leicht etwas sicher
auszumachen ist, sind die Debatten so lang und hartnäckig. Wir
können auch bei der
Anweisung das wahre und scheinbare nicht trennen,
weil es eben nie zum voraus bei den Streitenden selbst gewiß
ist :
daher gebe ich die Kunstgriffe ohne
Rücksicht, ob man objective Recht oder Unrecht hat ; denn das
kann man selbst nicht
sicher wissen : und es soll ja erst durch den
Streit ausgemacht werden. Übrigens muß man, bei jeder
Disputation oder
Argumentation überhaupt, über irgend
etwas einverstanden sein, daraus man als einem Prinzip die
vorliegende Frage
beurteilen will : Contra negantem principia non
est disputandum [Mit einem, der die Anfangssätze bestreitet,
ist nicht zu
streiten].
Kunstgriff 1
Die Erweiterung. Die Behauptung des Gegners
über ihre natürliche Grenze hinausführen, sie
möglichst allgemein deuten,
in möglichst weitem Sinne nehmen und sie
übertreiben ; seine eigne dagegen in möglichst
eingeschränktem Sinne, in
möglichst enge Grenzen zusammenziehn : weil
je allgemeiner eine Behauptung wird, desto mehreren Angriffen sie
bloß
steht. Das Gegenmittel ist die genaue Aufstellung
des puncti oder status controversiae.
Exempel 1. Ich sagte : « Die Engländer
sind die erste Dramatische Nation. » – Der Gegner wollte
eine instantia versuchen
und erwiderte : « Es wäre bekannt,
daß sie in der Musik folglich auch in der Oper nichts leisten
könnten. » – Ich trieb ihn
ab, durch die Erinnerung « daß Musik
nicht unter dem Dramatischen begriffen sei ; dies bezeichne
bloß Tragödie und
Komödie » : was er sehr wohl
wußte, und nur versuchte, meine Behauptung so zu
verallgemeinern, daß sie alle
Theatralischen Darstellungen, folglich die Oper,
folglich die Musik begriffe, um mich dann sicher zu schlagen. Man
rette
umgekehrt seine eigne Behauptung durch
Verengerung derselben über die erste Absicht hinaus, wenn der
gebrauchte
Ausdruck es begünstigt.
Exempel 2. A sagt : « Der Friede von 1814
gab sogar allen Deutschen Hansestädten ihre
Unabhängigkeit wieder. » – B gibt
die instantia in contrarium, daß Danzig die
ihm von Bonaparte verliehene Unabhängigkeit durch jenen
Frieden verloren. –
A rettet sich so : « Ich sagte allen
Deutschen Hansestädten : Danzig war eine Polnische Hansestadt.
» Diesen Kunstgriff
lehrt schon Aristoteles Topik, VIII, 12,
11.
Exempel 3. Lamarck (Philosophie zoologique)
spricht den Polypen alle Empfindungen ab, weil sie keine Nerven
haben.
Nun aber ist es gewiß, daß sie
wahrnehmen : denn sie gehn dem Lichte nach, indem sie sich
künstlich von Zweig zu Zweig
fortbewegen ; – und sie haschen ihren Raub.
Daher hat man angenommen, daß bei ihnen die Nervenmasse in der
Masse des
ganzen Körpers gleichmäßig
verbreitet, gleichsam verschmolzen ist : denn sie haben offenbar
Wahrnehmungen ohne
gesonderte Sinnesorgane. Weil das dem Lamarck
seine Annahme umstößt, argumentiert er dialektisch so :
« Dann müßten
alle Teile des Körpers der Polypen jeder Art
der Empfindung fähig sein, und auch der Bewegung, des Willens,
der
Gedanken : Dann hätte der Polyp in jedem
Punkt seines Körpers alle Organe des vollkommensten Tieres :
jeder Punkt
könnte sehn, riechen, schmecken, hören,
usw., ja denken, urteilen, schließen : jede Partikel seines
Körpers wäre ein
vollkommnes Tier, und der Polyp selbst
stände höher als der Mensch, da jedes Teilchen von ihm
alle Fähigkeiten hätte, die
der Mensch nur im Ganzen hat. – Es
gäbe ferner keinen Grund, um was man vom Polypen behauptet,
nicht auch auf die
Monade, das unvollkommenste aller Wesen,
auszudehnen, und endlich auch auf die Pflanzen, die doch auch
leben, usw. » –
Durch Gebrauch solcher Dialektischen Kunstgriffe
verrät ein Schriftsteller, daß er sich im Stillen
bewußt ist, Unrecht zu
haben. Weil man sagte : « ihr ganzer Leib
hat Empfindung für das Licht, ist also nervenartig » :
macht er daraus, daß der
ganze Leib denkt.
Kunstgriff 2
Die Homonymie benutzen, um die aufgestellte
Behauptung auch auf das auszudehnen, was außer dem gleichen
Wort wenig
oder nichts mit der in Rede stehenden Sache
gemein hat, dies dann lukulent widerlegen, und so sich das Ansehn
geben, als
habe man die Behauptung widerlegt. Anmerkung.
Synonyma sind zwei Worte für denselben Begriff : –
Homonyma zwei
Begriffe, die durch dasselbe Wort bezeichnet
werden. Siehe Aristoteles, Topik, I, 13. Tief, Schneidend, Hoch,
bald von
Körpern bald von Tönen gebraucht sind
Homonyma. Ehrlich und Redlich Synonyma. Man kann diesen Kunstgriff
als
identisch mit dem Sophisma ex homonymia
betrachten : jedoch das offenbare Sophisma der Homonymie wird nicht
im
Ernst täuschen.
Omne lumen potest extingui
Intellectus est lumen
Intellectus potest extingui.
Hier merkt man gleich, daß vier termini sind
: lumen eigentlich und lumen bildlich verstanden. Aber bei feinen
Fällen
täuscht es allerdings, namentlich wo die
Begriffe, die durch denselben Ausdruck bezeichnet werden, verwandt
sind und in
einander übergehn.
Exempel 1. [11] A. Sie sind noch nicht eingeweiht
in die Mysterien der Kantischen Philosophie.
B. Ach, wo Mysterien sind, davon will ich nichts
wissen.
[Exempel 2.] Ich tadelte das Prinzip der Ehre,
nach welchem man durch eine erhaltene Beleidigung ehrlos wird, es
sei
denn, daß man sie durch eine
größere Beleidigung erwidere, oder durch Blut, das des
Gegners oder sein eigenes, abwasche,
als unverständig ; als Grund führte ich
an, die wahre Ehre könne nicht verletzt werden durch
das, was man litte, sondern ganz allein durch
das, was man täte ; denn widerfahren könne jedem jedes.
– Der Gegner
machte den direkten Angriff auf den Grund : er
zeigte mir lukulent, daß wenn einem Kaufmann Betrug oder
Unrechtlichkeit, oder Nachlässigkeit in
seinem Gewerbe fälschlich nachgesagt würde, dies ein
Angriff auf
seine Ehre sei, die hier verletzt würde,
lediglich durch das, was er leide, und die er nur herstellen
könne, indem er solchen
Angreifer zur Strafe und Widerruf brächte.
Hier schob er also, durch die Homonymie, die Bürgerliche Ehre,
welche sonst
Guter Name heißt und deren Verletzung durch
Verleumdung geschieht, dem Begriff der ritterlichen Ehre unter, die
sonst
auch point d’honneur heißt und deren
Verletzung durch Beleidigungen geschieht. Und weil ein Angriff auf
erstere nicht
unbeachtet zu lassen ist, sondern durch
öffentliche Widerlegung abgewehrt werden muß ; so
müßte mit demselben Recht
ein Angriff auf letztere auch nicht unbeachtet
bleiben, sondern abgewehrt [werden] durch stärkere Beleidigung
und Duell. –
Also ein Vermengen zwei wesentlich verschiedener
Dinge durch die Homonymie des Wortes Ehre : und dadurch eine
mutatio controversiae, zu Wege gebracht durch die
Homonymie.
Kunstgriff 3
Die Behauptung [12] welche beziehungsweise, kata
ti, relative aufgestellt ist, nehmen, als sei sie allgemein,
simpliciter,
aplvV, absolute aufgestellt, oder wenigstens sie
in einer ganz andern Beziehung auffassen, und dann sie in diesem
Sinn
widerlegen. Des Aristoteles Beispiel ist : der
Mohr ist schwarz, hinsichtlich der Zähne aber weiß ; also
ist er schwarz und
nicht schwarz zugleich. – Das ist ein
ersonnenes Beispiel, das Niemand im Ernst täuschen wird :
nehmen wir dagegen eines
aus der wirklichen Erfahrung.
Exempel 1. In einem Gespräch über
Philosophie gab ich zu, daß mein System die Quietisten in
Schutz nehme und lobe. –
Bald darauf kam die Rede auf Hegel, und ich
behauptete er habe großenteils Unsinn geschrieben oder
wenigstens wären
viele Stellen seiner Schriften solche, wo der
Autor die Worte setzt, und der Leser den Sinn setzen soll. –
Der Gegner
unternahm nicht dies ad rem zu widerlegen,
sondern begnügte sich, das argumentum ad hominem aufzustellen
« ich hätte
so eben die Quietisten gelobt, und diese
hätten ebenfalls viel Unsinn geschrieben ». Ich gab dies
zu, berichtigte ihn aber
darin, daß ich die Quietisten nicht lobe als
Philosophen und Schriftsteller, also nicht wegen ihrer
theoretischen Leistungen,
sondern nur als Menschen, wegen ihres Tuns,
bloß in praktischer Hinsicht : bei Hegel aber sei die Rede von
theoretischen
Leistungen. – So war der Angriff pariert.
Die ersten drei Kunstgriffe sind verwandt : sie haben dies gemein,
daß der Gegner
eigentlich von etwas anderm redet als aufgestellt
worden ; man beginge also eine ignoratio elenchi, wenn man sich
dadurch
abfertigen ließe. – Denn in allen
aufgestellten Beispielen ist was der Gegner sagt, wahr : es steht
aber nicht in wirklichem
Widerspruch mit der These, sondern nur in
scheinbarem ; also negiert der von ihm Angegriffene die Konsequenz
seines
Schlusses : nämlich den Schluß von der
Wahrheit seines Satzes auf die Falschheit des unsrigen. Es ist also
direkte
Widerlegung seiner Widerlegung per negationem
consequentiae.
Wahre Prämissen nicht zugeben, weil man die
Konsequenz vorhersieht. Dagegen also folgende zwei Mittel, Regel 4
und 5.
Kunstgriff 4
Wenn man einen Schluß machen will, so lasse
man denselben nicht vorhersehn, sondern lasse sich unvermerkt
die
Prämissen einzeln und zerstreut im
Gespräch zugeben, sonst wird der Gegner allerhand Schikanen
versuchen ; oder wenn
zweifelhaft ist, daß der Gegner sie zugebe,
so stelle man die Prämissen dieser Prämissen auf ;
mache
Prosyllogismen ; lasse sich die Prämissen
mehrerer solcher Prosyllogismen ohne Ordnung durcheinander zugeben,
also
verdecke sein Spiel, bis alles zugestanden ist,
was man braucht. Führe also die Sache von Weitem herbei. Diese
Regeln gibt
Aristoteles, Topik, VIII, 1.
Bedarf keines Exempels.
Kunstgriff 5 [13]
Man kann zum Beweis seines Satzes auch falsche
Vordersätze gebrauchen, wenn nämlich der Gegner die
wahren nicht
zugeben würde, entweder weil er ihre
Wahrheit nicht einsieht, oder weil er sieht, daß die Thesis
sogleich daraus folgen
würde : dann nehme man Sätze, die an
sich falsch, aber ad hominem wahr sind, und argumentiere aus der
Denkungsart des
Gegners ex concessis. Denn das Wahre kann auch
aus falschen Prämissen folgen : wiewohl nie das Falsche aus
wahren.
Eben so kann man falsche Sätze des Gegners
durch andre falsche Sätze widerlegen, die er aber für
wahr hält : denn man hat
es mit ihm zu tun und muß seine Denkungsart
gebrauchen. Z. B. ist er Anhänger irgend einer Sekte, der wir
nicht
beistimmen ; so können wir gegen ihn die
Aussprüche dieser Sekte, als principia, gebrauchen.
Aristoteles, Topik, VIII, 9.
Kunstgriff 6
Man macht eine versteckte petitio principii,
indem man das, was man zu beweisen hätte, postuliert, entweder
1. unter einem
andern Namen, z. B. statt Ehre guter Name, statt
Jungfrauschaft Tugend usw., auch Wechselbegriffe : –
rotblütige Tiere,
statt Wirbeltiere, 2. oder was im Einzelnen
streitig ist, im Allgemeinen sich geben läßt, z. B. die
Unsicherheit der Medizin
behauptet, die Unsicherheit alles menschlichen
Wissens postuliert : 3. Wenn vice versa zwei auseinander folgen,
das eine
zu beweisen ist ; man postuliert das andre : 4.
Wenn das Allgemeine zu beweisen und man jedes einzelne sich zugeben
läßt.
(Das umgekehrte von Nr. 2.) (Aristoteles, Topik,
VIII, 11.) Über die Übung zur Dialektik enthält gute
Regeln das letzte
Kapitel der Topica des Aristoteles.
Kunstgriff 7
Wenn die Disputation etwas streng und formell
geführt wird und man sich recht deutlich verständigen
will ; so verfährt der,
welcher die Behauptung aufgestellt hat und sie
beweisen soll, gegen seinen Gegner fragend, um aus seinen
eignen
Zugeständnissen die Wahrheit der Behauptung
zu schließen. Diese erotematische Methode war besonders bei
den Alten im
Gebrauch (heißt auch Sokratische) : auf
dieselbe bezieht sich der gegenwärtige Kunstgriff und einige
später folgende.
(Sämtlich frei bearbeitet nach des
Aristoteles Liber de elenchis sophisticis, 15.) Viel auf ein Mal
und weitläufig fragen, um
das, was man eigentlich zugestanden haben will,
zu verbergen. Dagegen seine Argumentation aus dem
zugestandenen
schnell vortragen : denn die langsam von
Verständnis sind, können nicht genau folgen und
übersehn die etwaigen Fehler
oder Lücken in der Beweisführung.
Kunstgriff 8
Den Gegner zum Zorn reizen : denn im Zorn ist er
außer Stand, richtig zu urteilen und seinen Vorteil
wahrzunehmen. Man
bringt ihn in Zorn dadurch, daß man
unverhohlen ihm Unrecht tut und schikaniert und überhaupt
unverschämt ist.
Kunstgriff 9
Die Fragen nicht in der Ordnung tun, die der
daraus zu ziehende Schluß erfordert, sondern in allerhand
Versetzungen : er
weiß dann nicht, wo man hinaus will, und
kann nicht vorbauen ; auch kann man dann seine Antworten zu
verschiedenen
Schlüssen benutzen, sogar zu
entgegengesetzten, je nachdem sie ausfallen. Dies ist dem
Kunstgriff 4 verwandt, daß man
sein Verfahren maskieren soll.
Kunstgriff 10
Wenn man merkt, daß der Gegner die Fragen,
deren Bejahung für unsern Satz zu brauchen wäre,
absichtlich verneint, so
muß man das Gegenteil des zu gebrauchenden
Satzes fragen, als wollte man das bejaht wissen, oder wenigstens
ihm beides
zur Wahl vorlegen, so daß er nicht merkt,
welchen Satz man bejaht haben will.
Kunstgriff 11
Machen wir eine Induktion und er gesteht uns die
einzelnen Fälle, durch die sie aufgestellt werden soll, zu ;
so müssen wir
ihn nicht fragen, ob er auch die aus diesen
Fällen hervorgehende allgemeine Wahrheit zugebe ; sondern sie
nachher als
ausgemacht und zugestanden einführen : denn
bisweilen wird er dann selbst glauben, sie
zugegeben zu haben, und auch den Zuhörern
wird es so vorkommen, weil sie sich der vielen Fragen nach den
einzelnen
Fällen erinnern, die denn doch zum Zweck
geführt haben müssen.
Kunstgriff 12
Ist die Rede über einen allgemeinen Begriff,
der keinen eignen Namen hat, sondern tropisch durch ein Gleichnis
bezeichnet
werden muß ; so müssen wir das
Gleichnis gleich so wählen, daß es unsrer Behauptung
günstig ist. So sind z. B. in Spanien
die Namen, dadurch die beiden Politischen
Parteien bezeichnet werden, serviles und liberales gewiß von
letztern gewählt.
Der Name Protestanten ist von diesen
gewählt, auch der Name Evangelische : der Name Ketzer aber von
den Katholiken.
Es gilt vom Namen der Sachen auch, wo sie mehr
eigentlich sind : z. B. hat der Gegner irgend eine
Veränderung
vorgeschlagen, so nenne man sie « Neuerung
» : denn dies Wort ist gehässig. Umgekehrt, wenn man
selbst der Vorschläger
ist. – Im erstern Fall nenne man als
Gegensatz die « bestehende Ordnung », im zweiten «
den Bocksbeutel ». – Was ein
ganz Absichtsloser und Unparteiischer etwa «
Kultus » oder « öffentliche Glaubenslehre »
nennen würde, das nennt Einer,
der für sie sprechen will, «
Frömmigkeit », « Gottseligkeit » und ein Gegner
desselben « Bigottrie », « Superstition ».
Im
Grunde ist dies eine feine petitio principii :
was man erst dartun will, legt man zum voraus ins Wort, in die
Benennung, aus
welcher es dann durch ein bloß analytisches
Urteil hervorgeht. Was der Eine « sich seiner Person
versichern », « in
Gewahrsam bringen » nennt, heißt sein
Gegner « Einsperren ». – Ein Redner verrät oft
schon zum voraus seine Absicht
durch die Namen, die er den Sachen gibt. –
Der Eine sagt « die Geistlichkeit » der Andre « die
Pfaffen ». Unter allen
Kunstgriffen wird dieser am häufigsten
gebraucht, instinktmäßig. Glaubenseifer = Fanatismus.
– Fehltritt oder Galanterie =
Ehebruch – Äquivoken = Zoten. –
Dérangiert = Bankerott. – « Durch Einfluß und
Konnexion » = « durch Bestechung und
Nepotismus ». – « Aufrichtige
Erkenntlichkeit » = « gute Bezahlung ».
–
Kunstgriff 13
Um zu machen, daß er einen Satz annimmt,
müssen wir das Gegenteil dazu geben und ihm die Wahl lassen,
und dies
Gegenteil recht grell aussprechen, so daß
er, um nicht paradox zu sein, in unsern Satz eingehn muß, der
ganz probabel
dagegen aussieht. Z. B. Er soll zugeben, daß
Einer Alles tun muß, was ihm sein Vater sagt ; so fragen wir :
« Soll man in
allen Dingen den Eltern ungehorsam oder gehorsam
sein ? » – Oder ist von irgend einer Sache gesagt «
Oft » ; so fragen
wir, ob unter « oft » wenige Fälle
oder viel verstanden sind : er wird sagen « viele ». Es
ist wie wenn man Grau neben
Schwarz legt, so kann es weiß heißen ;
und legt man es neben Weiß, so kann es schwarz
heißen.
Kunstgriff 14
Ein unverschämter Streich ist es, wenn man
nach mehreren Fragen, die er beantwortet hat, ohne daß die
Antworten zu
Gunsten des Schlusses, den wir beabsichtigen,
ausgefallen wären, nun den Schlußsatz, den man dadurch
herbeiführen will,
obgleich er gar nicht daraus folgt, dennoch als
dadurch bewiesen aufstellt und triumphierend ausschreit. Wenn der
Gegner
schüchtern oder dumm ist, und man selbst
viel Unverschämtheit und eine gute Stimme hat, so kann das
recht gut gelingen.
Gehört zur fallacia non causae ut
causae.
Kunstgriff 15
Wenn wir einen paradoxen Satz aufgestellt haben,
um dessen Beweis wir verlegen sind ; so legen wir dem Gegner
irgend
einen richtigen, aber doch nicht ganz
handgreiflichen richtigen Satz zur Annahme oder Verwerfung vor, als
wollten wir
daraus den Beweis schöpfen : verwirft er ihn
aus Argwohn, so führen wir ihn ad absurdum und triumphieren ;
nimmt er ihn
aber an, – so haben wir vor der Hand etwas
vernünftiges gesagt, und müssen nun weiter sehn. Oder wir
fügen nun den
vorhergehenden Kunstgriff hinzu und behaupten
nun, daraus sei unser Paradoxon bewiesen. Hiezu gehört die
äußerste
Unverschämtheit : aber es kommt in der
Erfahrung vor ; und es gibt Leute die dies alles
instinktmäßig ausüben.
Kunstgriff 16
Argumenta ad hominem oder ex concessis. Bei einer
Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht
etwa
irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar,
im Widerspruch steht mit irgend etwas, das er früher gesagt
oder zugegeben
hat, oder mit den Satzungen einer Schule oder
Sekte, die er gelobt und gebilligt hat, oder mit dem Tun der
Anhänger dieser
Sekte, oder auch nur der unechten und scheinbaren
Anhänger, oder mit seinem eignen Tun und Lassen. Verteidigt er
z. B.
den Selbstmord, so schreit man gleich «
warum hängst du dich nicht auf ? » Oder er behauptet z.
B., Berlin sei ein
unangenehmer Aufenthalt : gleich schreit man :
« warum fährst du nicht gleich mit der ersten Schnellpost
ab ? » Es wird
sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben
lassen.
Kunstgriff 17
Wenn der Gegner uns durch einen Gegenbeweis
bedrängt, so werden wir uns oft retten können durch eine
feine
Unterscheidung, an die wir früher freilich
nicht gedacht haben, wenn die Sache irgend eine doppelte Bedeutung
oder einen
doppelten Fall zuläßt.
Kunstgriff 18
Merken wir, daß der Gegner eine
Argumentation ergriffen hat, mit der er uns schlagen wird ; so
müssen wir es nicht dahin
kommen lassen, ihn solche nicht zu Ende
führen zu lassen, sondern beizeiten den Gang der Disputation
unterbrechen,
abspringen oder ablenken, und auf andre
Sätze führen : kurz eine mutatio controversiae zu Wege
bringen. (Hierzu
Kunstgriff 29.)
Kunstgriff 19
Fordert der Gegner uns ausdrücklich auf,
gegen irgend einen bestimmten Punkt seiner Behauptung etwas
vorzubringen ;
wir haben aber nichts rechtes ; so müssen
wir die Sache recht ins Allgemeine spielen und dann gegen dieses
reden. Wir
sollen sagen, warum einer bestimmten
physikalischen Hypothese nicht zu trauen ist : so reden wir
über die Trüglichkeit des
menschlichen Wissens und erläutern sie an
allerhand.
Kunstgriff 20
Wenn wir ihm die Vordersätze abgefragt haben
und er sie zugegeben hat, müssen wir den Schluß daraus
nicht etwa auch
noch fragen, sondern gradezu selbst ziehn : ja
sogar wenn von den Vordersätzen noch einer oder der andre
fehlt, so nehmen
wir ihn doch als gleichfalls eingeräumt an
und ziehn den Schluß. Welches dann eine Anwendung der fallacia
non causae ut
causae ist.
Kunstgriff 21
Bei einem bloß scheinbaren oder
sophistischen Argument des Gegners, welches wir durchschauen,
können wir zwar es
auflösen durch Auseinandersetzung seiner
Verfänglichkeit und Scheinbarkeit ; allein besser ist es, ihm
mit einem eben so
scheinbaren und sophistischen Gegenargument zu
begegnen und so abzufertigen. Denn es kommt ja nicht auf die
Wahrheit,
sondern den Sieg an. Gibt er z. B. ein argumentum
ad hominem, so ist es hinreichend, es durch ein Gegenargument
ad
hominem (ex concessis) zu entkräftigen : und
überhaupt ist es kürzer, statt einer langen
Auseinandersetzung der wahren
Beschaffenheit der Sache, ein argumentum ad
hominem zu geben, wenn es sich darbietet.
Kunstgriff 22
Fordert er, daß wir etwas zugeben, daraus
das in Streit stehende Problem unmittelbar folgen würde ; so
lehnen wir es ab,
indem wir es für eine petitio principii
ausgeben ; denn er und die Zuhörer werden einen dem Problem
nahe verwandten Satz
leicht als mit dem Problem identisch ansehn : und
so entziehn wir ihm sein bestes Argument.
Kunstgriff 23
Der Widerspruch und der Streit reizt zur
Übertreibung der Behauptung. Wir können also den Gegner
durch Widerspruch
reizen, eine an sich und in gehöriger
Einschränkung allenfalls wahre Behauptung über die
Wahrheit hinaus zu steigern :
und wenn wir nun diese Übertreibung
widerlegt haben, so sieht es aus, als hätten wir auch seinen
ursprünglichen Satz
widerlegt. Dagegen haben wir selbst uns zu
hüten, nicht uns durch Widerspruch zur Übertreibung oder
weitern
Ausdehnung unsers Satzes verleiten zu lassen. Oft
auch wird der Gegner selbst unmittelbar suchen, unsre
Behauptung
weiter auszudehnen, als wir sie gestellt haben :
dem müssen wir dann gleich Einhalt tun, und ihn auf die
Grenzlinie unsrer
Behauptung zurückführen mit « so
viel habe ich gesagt und nicht mehr ».
Kunstgriff 24
Die Konsequenzmacherei. Man erzwingt aus dem
Satze des Gegners durch falsche Folgerungen und Verdrehung
der
Begriffe Sätze, die nicht darin liegen und
gar nicht die Meinung des Gegners sind, hingegen absurd oder
gefährlich sind :
da es nun scheint, daß aus seinem Satze
solche Sätze, die entweder sich selbst oder anerkannten
Wahrheiten widersprechen,
hervorgehn ; so gilt dies für eine indirekte
Widerlegung, apagoge : und ist wieder eine Anwendung der fallacia
non causae
ut causae.
Kunstgriff 25
Er betrifft die Apagoge durch eine Instanz,
exemplum in contrarium. Die epagwgh, inductio bedarf einer
großen Menge
Fälle, um ihren allgemeinen Satz
aufzustellen ; die apagwgh braucht nur einen einzigen Fall
aufzustellen, zu dem der Satz
nicht paßt, und er ist umgeworfen : ein
solcher Fall heißt Instanz, enstasiV, exemplum in contrarium,
instantia. Z. B. der
Satz : « alle Wiederkäuer sind
gehörnt » wird umgestoßen durch die einzige Instanz
der Kamele. Die Instanz ist ein Fall der
Anwendung der allgemeinen Wahrheit, etwas unter
den Hauptbegriff derselben zu subsumierendes, davon aber jene
Wahrheit nicht gilt, und dadurch ganz
umgestoßen wird. Allein dabei können Täuschungen
vorgehn ; wir haben also bei
Instanzen, die der Gegner macht, folgendes zu
beachten : 1. ob das Beispiel auch wirklich wahr ist ; es gibt
Probleme,
deren einzig wahre Lösung die ist, daß
der Fall nicht wahr ist : z. B. viele Wunder, Geistergeschichten
usw. ; 2. ob es auch
wirklich unter den Begriff der aufgestellten
Wahrheit gehört : das ist oft nur scheinbar und durch eine
scharfe Distinktion
zu lösen ; 3. ob es auch wirklich in
Widerspruch steht mit der aufgestellten Wahrheit : auch dies ist
oft nur scheinbar.
Kunstgriff 26
Ein brillianter Streich ist die retorsio
argumenti : wenn das Argument, das er für sich gebrauchen
will, besser gegen ihn
gebraucht werden kann ; z. B. er sagt : « es
ist ein Kind, man muß ihm was zu gute halten » : retorsio
« eben weil es ein
Kind ist, muß man es züchtigen, damit
es nicht verhärte in seinen bösen Angewohnheiten
».
Kunstgriff 27
Wird bei einem Argument der Gegner unerwartet
böse, so muß man dieses Argument eifrig urgieren : nicht
bloß weil es
gut ist, ihn in Zorn zu versetzen, sondern weil
zu vermuten ist, daß man die schwache Seite seines
Gedankenganges berührt
hat und ihm an dieser Stelle wohl noch mehr
anzuhaben ist, als man vor der Hand selber sieht.
Kunstgriff 28
Dieser ist hauptsächlich anwendbar, wenn
Gelehrte vor ungelehrten Zuhörern streiten. Wenn man kein
argumentum ad rem
hat und auch nicht einmal eines ad hominem, so
macht man eines ad auditores, d. h. einen ungültigen Einwurf,
dessen
Ungültigkeit aber nur der Sachkundige
einsieht ; ein solcher ist der Gegner, aber die Hörer nicht :
er wird also in ihren
Augen geschlagen, zumal wenn der Einwurf seine
Behauptung irgendwie in ein lächerliches Licht stellt : zum
Lachen sind
die Leute gleich bereit ; und man hat die Lacher
auf seiner Seite. Die Nichtigkeit des Einwurfs zu zeigen,
müßte der Gegner
eine lange Auseinandersetzung machen und auf die
Prinzipien der Wissenschaft oder sonstige Angelegenheit
zurückgehn :
dazu findet er nicht leicht Gehör.
Exempel. Der Gegner sagt : bei der Bildung des
Urgebirgs, war die Masse, aus welcher der Granit und alles
übrige
Urgebirg krystallisierte flüssig durch
Wärme, also geschmolzen : die Wärme mußte etwa
200° R sein : die Masse
kristallisierte unter der sie bedeckenden
Meeresfläche. – Wir machen das argumentum ad auditores,
daß bei jener
Temperatur, ja schon lange vorher bei 80°,
das Meer längst verkocht wäre und in der Luft schwebte
als Dunst. – Die
Zuhörer lachen. Um uns zu schlagen,
hätte er zu zeigen, daß der Siedepunkt nicht allein von
dem Wärmegrad, sondern
eben so sehr vom Druck der Atmosphäre
abhängt : und dieser, sobald etwa das halbe Meereswasser in
Dunstgestalt
schwebt, sosehr erhöht ist, daß auch
bei 200° R noch kein Kochen stattfindet. – Aber dazu
kommt er nicht, da es bei
Nichtphysikern einer Abhandlung bedarf.
–
Kunstgriff 29
Merkt man, daß man geschlagen wird, so macht
man eine Diversion : d. h. fängt mit einem Male von etwas ganz
anderm
an, als gehörte es zur Sache und wäre
ein Argument gegen den Gegner. Dies geschieht mit einiger
Bescheidenheit, wenn
die Diversion doch noch überhaupt das thema
quaestionis betrifft ; unverschämt, wenn es bloß den
Gegner angeht und gar
nicht von der Sache redet. Z. B. Ich lobte,
daß in China kein Geburtsadel sei und die Ämter nur in
Folge von examina
erteilt werden. Mein Gegner behauptete, daß
Gelehrsamkeit eben so wenig als Vorzüge der Geburt (von denen
er etwas
hielt) zu Ämtern fähig machte. –
Nun ging es für ihn schief. Sogleich machte er die Diversion,
daß in China alle Stände mit
der Bastonade gestraft werden, welches er mit dem
vielen Teetrinken in Verbindung brachte und beides den Chinesen
zum
Vorwurf machte. – Wer nun gleich auf alles
sich einließe, würde sich dadurch haben ableiten lassen
und den schon
errungenen Sieg aus den Händen gelassen
haben. Unverschämt ist die Diversion, wenn sie die Sache
quaestionis ganz und
gar verläßt, und etwa anhebt : «
ja, und so behaupteten Sie neulich ebenfalls etc. » Denn da
gehört sie gewissermaßen zum
« Persönlichwerden », davon in dem
letzten Kunstgriff die Rede sein wird. Sie ist genau genommen eine
Mittelstufe
zwischen dem daselbst zu erörternden
argumentum ad personam und dem argumentum ad hominem.
Wie sehr gleichsam angeboren dieser Kunstgriff
sei, zeigt jeder Zank zwischen gemeinen Leuten : wenn nämlich
Einer
dem Andern persönliche Vorwürfe macht,
so antwortet dieser nicht etwa durch Widerlegung derselben, sondern
durch
persönliche Vorwürfe, die er dem Ersten
macht, die ihm selbst gemachten stehn lassend, also gleichsam
zugebend. Er
macht es wie Scipio, der die Karthager nicht in
Italien, sondern in Afrika angriff. Im Kriege mag solche Diversion
zu
Zeiten taugen. Im Zanken ist sie schlecht, weil
man die empfangnen Vorwürfe stehn läßt, und der
Zuhörer alles Schlechte
von beiden Parteien erfährt. Im Disputieren
ist sie faute de mieux
gebräuchlich.
Kunstgriff 30
Das argumentum ad verecundiam. Statt der
Gründe brauche man Autoritäten nach Maßgabe der
Kenntnisse des Gegners.
Unusquisque mavult credere quam judicare : sagt
Seneca [De vita beata, I, 4] ; man hat also leichtes Spiel, wenn
man eine
Autorität für sich hat, die der Gegner
respektiert. Es wird aber für ihn desto mehr gültige
Autoritäten geben, je beschränkter
seine Kenntnisse und Fähigkeiten sind. Sind
etwa diese vom ersten Rang, so wird es höchst wenige und fast
gar keine
Autoritäten für ihn geben. Allenfalls
wird er die der Leute vom Fach in einer ihm wenig oder gar nicht
bekannten
Wissenschaft, Kunst, oder Handwerk gelten lassen
: und auch diese mit Mißtrauen. Hingegen haben die
gewöhnlichen
Leute tiefen Respekt für die Leute vom Fach
jeder Art. Sie wissen nicht, daß wer Profession von der Sache
macht, nicht die
Sache liebt, sondern seinen Erwerb : – noch
daß wer eine Sache lehrt, sie selten gründlich weiß,
denn wer sie gründlich
studiert, dem bleibt meistens keine Zeit zum
Lehren übrig. Allein für das Vulgus gibt es gar viele
Autoritäten die Respekt
finden : hat man daher keine ganz passende, so
nehme man eine scheinbar passende, führe an, was Einer in
einem andern
Sinn, oder in andern Verhältnissen gesagt
hat. Autoritäten, die der Gegner gar nicht versteht, wirken
meistens am meisten.
Ungelehrte haben einen eignen Respekt vor
griechischen und lateinischen Floskeln. Auch kann man die
Autoritäten
nötigenfalls nicht bloß verdrehen,
sondern gradezu verfälschen, oder gar welche anführen,
die ganz aus eigner Erfindung
sind : meistens hat er das Buch nicht zur Hand
und weiß es auch nicht zu handhaben. Das schönste
Beispiel hiezu gibt der
Französische Curé, der, um nicht, wie
die andern Bürger mußten, die Straße vor seinem
Hause zu pflastern, einen
Biblischen Spruch anführte : paveant illi,
ego non pavebo. Das überzeugte die Gemeinde-Vorsteher. Auch
sind allgemeine
Vorurteile als Autoritäten zu gebrauchen.
Denn die meisten denken mit Aristoteles a men polloiV dokei tauta
ge einai
jamen : ja, es gibt keine noch so absurde
Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten,
sobald man es
dahin gebracht hat, sie zu überreden,
daß solche allgemein angenommen sei. Das Beispiel wirkt auf
ihr Denken, wie auf ihr
Tun. Sie sind Schafe, die dem Leithammel
nachgehn, wohin er auch führt : es ist ihnen leichter zu
sterben als zu denken. Es
ist sehr seltsam, daß die Allgemeinheit
einer Meinung so viel Gewicht bei ihnen hat, da sie doch an sich
selbst sehn
können, wie ganz ohne Urteil und bloß
kraft des Beispiels man Meinungen annimmt. Aber das sehn sie nicht,
weil alle
Selbstkenntnis ihnen abgeht. – Nur die
Auserlesenen sagen mit Plato tois polloiV polla dokei, d. h. das
Vulgus hat viele
Flausen im Kopfe, und wollte man sich daran
kehren, hätte man viel zu tun. Die Allgemeinheit einer Meinung
ist, im Ernst
geredet, kein Beweis, ja nicht einmal ein
Wahrscheinlichkeitsgrund ihrer Richtigkeit. Die, welche es
behaupten, müssen
annehmen 1. daß die Entfernung in der Zeit
jener Allgemeinheit ihre Beweiskraft raubt : sonst müßten
sie alle alten
Irrtümer zurückrufen, die einmal
allgemein für Wahrheiten galten : z. B. das Ptolemäische
System, oder in allen
protestantischen Länder den Katholizismus
herstellen ; 2. daß die Entfernung im Raum dasselbe leistet :
sonst wird sie die
Allgemeinheit der Meinung in den Bekennern des
Buddhaismus, des Christentums, und des Islams in Verlegenheit
setzen.
(Nach Bentham, Tactique des assemblées
législatives, Bd. II, S. 76.)
Was man so die allgemeine Meinung nennt, ist,
beim Lichte betrachtet, die Meinung Zweier oder Dreier Personen ;
und
davon würden wir uns überzeugen, wenn
wir der Entstehungsart so einer allgemeingültigen Meinung
zusehn könnten. Wir
würden dann finden, daß Zwei oder Drei
Leute es sind, die solche zuerst annahmen oder aufstellten und
behaupteten, und
denen man so gütig war zuzutrauen, daß
sie solche recht gründlich geprüft hätten : auf das
Vorurteil der hinlänglichen
Fähigkeit dieser nahmen zuerst einige Andre
die Meinung ebenfalls an ; diesen wiederum glaubten Viele andre,
deren
Trägheit ihnen anriet, lieber gleich zu
glauben, als erst mühsam zu prüfen. So wuchs von Tag zu
Tag die Zahl solcher
trägen und leichtgläubigen
Anhänger : denn hatte die Meinung erst eine gute Anzahl
Stimmen für sich, so schrieben die
Folgenden dies dem zu, daß sie solche nur
durch die Triftigkeit ihrer Gründe hätte erlangen
können. Die noch Übrigen
waren jetzt genötigt gelten zu lassen, was
allgemein galt, um nicht für unruhige Köpfe zu gelten,
die sich gegen
allgemeingültige Meinungen auflehnten, und
naseweise Bursche, die klüger sein wollten als alle Welt.
Jetzt wurde die
Beistimmung zur Pflicht. Nunmehr müssen die
Wenigen, welche zu urteilen fähig sind, schweigen : und die da
reden
dürfen, sind solche, welche völlig
unfähig eigne Meinungen und eignes Urteil zu haben, das
bloße Echo fremder Meinung
sind ; jedoch sind sie desto eifrigere und
unduldsamere Verteidiger derselben. Denn sie hassen am
Andersdenkenden nicht
sowohl die andre Meinung, zu der er sich bekennt,
als die Vermessenheit, selbst urteilen zu wollen ; was sie ja doch
selbst
nie unternehmen und im Stillen sich dessen
bewußt sind. – Kurzum, Denken können sehr Wenige,
aber Meinungen wollen
Alle haben : was bleibt da anderes übrig,
als daß sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz
fertig von Andern
aufnehmen ? – Da es so zugeht, was gilt
noch die Stimme von hundert Millionen Menschen ? – So viel
wie etwa ein
historisches Faktum, das man in hundert
Geschichtsschreibern findet, dann aber nachweist, daß sie alle
einer den andern
ausgeschrieben haben, wodurch zuletzt alles auf
die Aussage eines Einzigen zurückläuft. (Nach Bayle,
Pensées sur les
Comètes, Bd. I, S. 10.)
« Dico ego, tu dicis, sed denique dixit et
ille :
Dictaque post toties, nil nisi dicta vides.
»
Nichtsdestoweniger kann man im Streit mit
gewöhnlichen Leuten die allgemeine Meinung als Autorität
gebrauchen.
Überhaupt wird man finden, daß wenn
zwei gewöhnliche Köpfe mit einander streiten, meistens
die gemeinsam von ihnen
erwählte Waffe Autoritäten sind : damit
schlagen sie aufeinander los. – Hat der bessere Kopf mit
einem solchen zu tun, so
ist das Rätlichste, daß er sich auch zu
dieser Waffe bequeme, sie auslesend nach Maßgabe der
Blößen seines Gegners.
Denn gegen die Waffe der Gründe ist dieser,
ex hypothesi, ein gehörnter Siegfried, eingetaucht in die Flut
der Unfähigkeit
zu denken und zu urteilen.
Vor Gericht wird eigentlich nur mit
Autoritäten gestritten, die Autorität der Gesetze, die
fest steht : das Geschäft der
Urteilskraft ist das Auffinden des Gesetzes, d.
h. der Autorität, die im gegebenen Fall Anwendung findet. Die
Dialektik hat
aber Spielraum genug, indem, erforderlichen
Falls, der Fall und ein Gesetz, die nicht eigentlich zu einander
passen, gedreht
werden, bis man sie für zu einander passend
ansieht : auch umgekehrt.
Kunstgriff 31
Wo man gegen die dargelegten Gründe des
Gegners nichts vorzubringen weiß, erkläre man sich mit
feiner Ironie für
inkompetent : « Was Sie da sagen,
übersteigt meine schwache Fassungskraft : es mag sehr richtig
sein ; allein ich kann es
nicht verstehn, und begebe mich alles Urteils.
» – Dadurch insinuiert man den Zuhörern, bei denen
man in Ansehn steht,
daß es Unsinn ist. So erklärten beim
Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft oder vielmehr beim Anfang
ihres erregten
Aufsehns viele Professoren von der alten
eklektischen Schule « wir verstehn das nicht », und
glaubten sie dadurch abgetan
zu haben. – Als aber einige Anhänger
der neuen Schule ihnen zeigten, daß sie Recht hätten und
es wirklich nur nicht
verstanden, wurden sie sehr übler Laune. Man
darf den Kunstgriff nur da brauchen, wo man sicher ist, bei den
Zuhörern in
entschieden höherm Ansehn zu stehn als der
Gegner : z. B. ein Professor gegen einen Studenten. Eigentlich
gehört dies
zum vorigen Kunstgriff und ist ein Geltendmachen
der eignen Autorität, statt der Gründe, auf besonders
maliziöse Weise. –
Der Gegenstreich ist : « Erlauben Sie, bei
Ihrer großen Penetration, muß es Ihnen ein leichtes sein,
es zu verstehn, und kann
nur meine schlechte Darstellung Schuld sein
», – und nun ihm die Sache so ins Maul schmieren,
daß er sie nolens volens
verstehn muß und klar wird, daß er sie
vorhin wirklich nur nicht verstand. – So ist’s
retorquiert: er wollte uns « Unsinn »
insinuieren ; wir haben ihm « Unverstand
» bewiesen. Beides mit schönster Höflichkeit.
Kunstgriff 32
Eine uns entgegenstehende Behauptung des Gegners
können wir auf eine kurze Weise dadurch beseitigen oder
wenigstens
verdächtig machen, daß wir sie unter
eine verhaßte Kategorie bringen, wenn sie auch nur durch eine
Ähnlichkeit oder sonst
lose mit ihr zusammenhängt : z. B. «
das ist Manichäismus, das ist Arianismus ; das ist
Pelagianismus ; das ist Idealismus ;
das ist Spinozismus ; das ist Pantheismus ; das
ist Brownianismus ; das ist Naturalismus ; das ist Atheismus ; das
ist
Rationalismus ; das ist Spiritualismus ; das ist
Mystizismus ; usw. » – Wir nehmen dabei zweierlei an :
1. daß jene
Behauptung wirklich identisch oder wenigstens
enthalten sei in jener Kategorie, rufen also aus : oh, das kennen
wir schon !
– und 2. daß diese Kategorie schon
ganz widerlegt sei und kein wahres Wort enthalten könne.
Kunstgriff 33
« Das mag in der Theorie richtig sein ; in
der Praxis ist es falsch. » – Durch dieses Sophisma gibt
man die Gründe zu und
leugnet doch die Folgen ; im Widerspruch mit der
Regel a ratione ad rationatum valet consequentia. – Jene
Behauptung
setzt eine Unmöglichkeit : was in der
Theorie richtig ist, muß auch in der Praxis zutreffen ; trifft
es nicht zu, so liegt ein
Fehler in der Theorie, irgend etwas ist
übersehn und nicht in Anschlag gebracht worden, folglich
ist’s auch in der Theorie
falsch.
Kunstgriff 34
Wenn der Gegner auf eine Frage oder Argument
keine direkte Antwort oder Bescheid gibt, sondern durch eine
Gegenfrage,
oder eine indirekte Antwort, oder gar etwas nicht
zur Sache Gehöriges ausweicht und wo anders hinwill, so ist
dies ein
sicheres Zeichen, daß wir (bisweilen ohne es
zu wissen) auf einen faulen Fleck getroffen haben : es ist ein
relatives
Verstummen seinerseits. Der von uns angeregte
Punkt ist also zu urgieren und der Gegner nicht vom Fleck zu lassen
;
selbst dann, wann wir noch nicht sehn, worin
eigentlich die Schwäche besteht, die wir hier getroffen
haben.
Kunstgriff 35
Der sobald er praktikabel ist, alle übrigen
entbehrlich macht : statt durch Gründe auf den Intellekt,
wirke man durch Motive
auf den Willen, und der Gegner, wie auch die
Zuhörer, wenn sie gleiches Interesse mit ihm haben, sind
sogleich für unsre
Meinung gewonnen, und wäre diese aus dem
Tollhause geborgt : denn meistens wiegt ein Lot Wille mehr als ein
Zentner
Einsicht und Überzeugung. Freilich geht dies
nur unter besondern Umständen an. Kann man dem Gegner
fühlbar machen,
daß seine Meinung, wenn sie gültig
würde, seinem Interesse merklichen Abbruch täte, so wird
er sie so schnell fahren
lassen, wie ein heißes Eisen, das er
unvorsichtigerweise ergriffen hatte. Z. B. ein Geistlicher
verteidigt ein philosophisches
Dogma : man gebe ihm zu vermerken, daß es
mittelbar mit einem Grunddogma seiner Kirche in Widerspruch steht,
und er
wird es fahren lassen.
Ein Gutsbesitzer behauptet die Vortrefflichkeit
des Maschinenwesens in England, wo eine Dampfmaschine vieler
Menschen Arbeit tut : man gebe ihm zu verstehn,
daß bald auch die Wagen durch Dampfmaschinen gezogen werden,
wo
denn die Pferde seiner zahlreichen Stuterei sehr
im Preise sinken müssen ; und man wird sehn. In solchen
Fällen ist das
Gefühl eines jeden in der Regel : «
quam temere in nosmet legem sancimus iniquam. » Eben so, wenn
die Zuhörer mit uns
zu einer Sekte, Gilde, Gewerbe, Klub usw.
gehören, der Gegner aber nicht. Seine These sei noch so
richtig ; sobald wir nur
andeuten, daß solche dem gemeinsamen
Interesse besagter Gilde usw. zuwiderläuft, so werden alle
Zuhörer die Argumente
des Gegners, seien sie auch vortrefflich, schwach
und erbärmlich, unsre dagegen, und wären sie aus der Luft
gegriffen,
richtig und treffend finden, der Chor wird laut
für uns sich vernehmen lassen, und der Gegner wird
beschämt das Feld
räumen. Ja die Zuhörer werden meistens
glauben aus reiner Überzeugung gestimmt zu haben. Denn was uns
unvorteilhaft
ist, erscheint meistens dem Intellekt absurd.
Intellectus luminis sicci non est recipit infusionem a voluntate et
affectibus.
Dieser Kunstgriff könnte so bezeichnet
werden « den Baum bei der Wurzel anfassen » :
gewöhnlich heißt er das
argumentum ab utili.
Kunstgriff 36
Den Gegner durch sinnlosen Wortschwall verdutzen,
verblüffen. Es beruht darauf, daß
« Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er
nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken
lassen. »
Wenn er nun sich seiner eignen Schwäche im
Stillen bewußt ist, wenn er gewohnt ist, mancherlei zu
hören, was er nicht
versteht, und doch dabei zu tun, als
verstände er es ; so kann man ihm dadurch imponieren, daß
man ihm einen gelehrt oder
tiefsinnig klingenden Unsinn, bei dem ihm
Hören, Sehn und Denken vergeht, mit ernsthafter Miene
vorschwatzt, und
solches für den unbestreitbarsten Beweis
seiner eignen Thesis ausgibt. Bekanntlich haben in neuern Zeiten,
selbst dem
ganzen Deutschen Publikum gegenüber, einige
Philosophen diesen Kunstgriff mit dem brilliantesten Erfolg
angewandt.
Weil aber exempla odiosa sind, wollen wir ein
älteres Beispiel nehmen aus Goldsmith, Vicar of Wakefield,
Kap. 7.
Kunstgriff 37
(der einer der ersten sein sollte). Wenn der
Gegner auch in der Sache Recht hat, allein glücklicherweise
für selbige einen
schlechten Beweis wählt, so gelingt es uns
leicht diesen Beweis zu widerlegen, und nun geben wir dies für
eine
Widerlegung der Sache aus. Im Grunde läuft
dies darauf zurück, daß wir ein argumentum ad hominem
für eines ad rem
ausgeben. Fällt ihm oder den Umstehenden
kein richtigerer Beweis bei, so haben wir gesiegt. – Z. B.
wenn Einer für das
Dasein Gottes den ontologischen Beweis aufstellt,
der sehr wohl widerlegbar ist. Dies ist der Weg, auf welchem
schlechte
Advokaten eine gute Sache verlieren : [sie]
wollen sie durch ein Gesetz rechtfertigen, das darauf nicht
paßt, und das
passende fällt ihnen nicht ein.
Letzter Kunstgriff
Wenn man merkt, daß der Gegner
überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man
persönlich, beleidigend,
grob. Das Persönlichwerden besteht darin,
daß man von dem Gegenstand des Streites (weil man da verlornes
Spiel hat)
abgeht auf den Streitenden und seine Person
irgend wie angreift : man könnte es nennen argumentum ad
personam, zum
Unterschied vom argumentum ad hominem : dieses
geht vom rein objektiven Gegenstand ab, um sich an das zu halten,
was
der Gegner darüber gesagt oder zugegeben
hat. Beim Persönlichwerden aber verläßt man den
Gegenstand ganz, und richtet
seinen Angriff auf die Person des Gegners : man
wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. Es ist
eine Appellation
von den Kräften des Geistes an die des
Leibes, oder an die Tierheit. Diese Regel ist sehr beliebt, weil
jeder zur Ausführung
tauglich ist, und wird daher häufig
angewandt. Nun frägt sich, welche Gegenregel hiebei für
den andern Teil gilt. Denn will
er dieselbe gebrauchen, so wirds eine
Prügelei oder ein Duell oder ein Injurienprozeß. Man
würde sich sehr irren, wenn
man meint, es sei hinreichend, selbst nicht
persönlich zu werden. Denn dadurch, daß man Einem ganz
gelassen zeigt, daß er
Unrecht hat und also falsch urteilt und denkt,
was bei jedem dialektischen Sieg der Fall ist, erbittert man ihn
mehr als durch
einen groben, beleidigenden Ausdruck. Warum ?
Weil wie Hobbes de Cive, Kap. 1, sagt : Omnis animi voluptas,
omnisque
alacritas in eo sita est, quod quis habeat,
quibuscum conferens se, possit magnifice sentire de seipso. –
Dem Menschen geht
nichts über die Befriedigung seiner
Eitelkeit und keine Wunde schmerzt mehr als die, die dieser
geschlagen wird. (Daraus
stammen Redensarten wie « die Ehre gilt mehr
als das Leben » usw.) Diese Befriedigung der Eitelkeit
entsteht
hauptsächlich aus der Vergleichung Seiner
mit Andern, in jeder Beziehung, aber hauptsächlich in
Beziehung auf die
Geisteskräfte. Diese eben geschieht
effective und sehr stark beim Disputieren. Daher die Erbitterung
des Besiegten, ohne
daß ihm Unrecht widerfahren, und daher sein
Greifen zum letzten Mittel, diesem letzten Kunstgriff : dem man
nicht
entgehen kann durch bloße Höflichkeit
seinerseits. Große Kaltblütigkeit kann jedoch auch hier
aushelfen, wenn man
nämlich, sobald der Gegner persönlich
wird, ruhig antwortet, das gehöre nicht zur Sache, und
sogleich auf diese
zurücklehnt und fortfährt, ihm hier
sein Unrecht zu beweisen, ohne seiner Beleidigungen zu achten, also
gleichsam wie
Themistokles zum Eurybiades sagt : pataxon men,
akouson de. Das ist aber nicht jedem gegeben.
Die einzig sichere Gegenregel ist daher die,
welche schon Aristoteles im letzten Kapitel der Topica gibt : Nicht
mit dem
Ersten dem Besten zu disputieren ; sondern allein
mit solchen, die man kennt, und von denen man weiß, daß
sie Verstand
genug haben, nicht gar zu Absurdes vorzubringen
und dadurch beschämt werden zu müssen ; und um mit
Gründen zu
disputieren und nicht mit Machtsprüchen, und
um auf Gründe zu hören und darauf einzugehn ; und
endlich, daß sie die
Wahrheit schätzen, gute Gründe gern
hören, auch aus dem Munde des Gegners, und Billigkeit genug
haben, um es ertragen
zu können, Unrecht zu behalten, wenn die
Wahrheit auf der andern Seite liegt. Daraus folgt, daß unter
Hundert kaum Einer
ist, der wert ist, daß man mit ihm
disputiert. Die Übrigen lasse man reden, was sie wollen, denn
desipere est juris gentium,
und man bedenke, was Voltaire sagt : La paix vaut
encore mieux que la vérité ; und ein arabischer Spruch
ist : « Am
Baume des Schweigens hängt seine Frucht der
Friede. » Das Disputieren ist als Reibung der Köpfe
allerdings oft von
gegenseitigem Nutzen, zur Berichtigung der eignen
Gedanken und auch zur Erzeugung neuer Ansichten. Allein beide
Disputanten müssen an Gelehrsamkeit und an
Geist ziemlich gleichstehn. Fehlt es Einem an der ersten, so
versteht er nicht
Alles, ist nicht au niveau. Fehlt es ihm am
zweiten, so wird die dadurch herbeigeführte Erbitterung ihn zu
Unredlichkeiten
und Kniffen [oder] zu Grobheit verleiten.
Zwischen der Disputation in colloquio privato sive familiari und
der disputatio
sollemnis publica, pro gradu usw. ist kein
wesentlicher Unterschied. Bloß etwa, daß bei letzterer
gefordert wird, daß der
Respondens allemal gegen den Opponens Recht
behalten soll und deshalb nötigenfalls der praeses ihm
beispringt ; – oder
auch daß man bei letzterer mehr
förmlich argumentiert, seine Argumente gern in die strenge
Schlußform kleidet.
[Dieser Fragment gebliebene Teil war vermutlich
als Einleitung gedacht] I
Logik und Dialektik [14] wurden schon von den
Alten als Synonyme gebraucht, obgleich logizesJai,
überdenken,
überlegen, berechnen, und dialegesJai, sich
unterreden, zwei sehr verschiedene Dinge sind. Den Namen
Dialektik
(dialektikh, dialektikh pragmateia, dialektikoV
anhr) hat (wie Diogenes Laertius berichtet) Plato zuerst gebraucht
: und wir
finden, daß er im Phädrus, Sophista,
Republik Buch VII usw. den regelmäßigen Gebrauch der
Vernunft, und das Geübtsein
in selbigem darunter versteht. Aristoteles
braucht ta dialektika im selben Sinne ; er soll aber (nach
Laurentius Valla) zuerst
logikh im selben Sinne gebraucht haben : wir
finden bei ihm logikaV duscereiaV, i. e. argutias, protasin
logikhn, aporian
logikhn. – Demnach wäre dialektikh
älter als logikh. Cicero und Quintilian brauchen in derselben
allgemeinen Bedeutung
Dialectica [und] Logica. Cicero in Lucullo :
Dialecticam inventam esse, veri et falsi quasi disceptatricem.
– Stoici enim
judicandi vias diligenter persecuti sunt, ea
scientia, quam Dialecticen appellant, Cicero, Topica, Kap. 2.
– Quintilian :
itaque haec pars dialecticae, sive illam
disputatricem dicere malimus : letzteres scheint ihm also das
lateinische Äquivalent
von dialektikh. (So weit nach Petri Rami
dialectica, Audomari Talaei praelectionibus illustrata, 1569.)
Dieser Gebrauch der
Worte Logik und Dialektik als Synonyme hat sich
auch im Mittelalter und der neuern Zeit, bis heute, erhalten.
Jedoch hat
man in neuerer Zeit, besonders Kant, «
Dialektik » öfter in einem schlimmern Sinne gebraucht als
« sophistische
Disputierkunst », und daher die Benennung
« Logik » als unschuldiger vorgezogen. Jedoch bedeutet
beides von Haus aus
dasselbe und in den letzten Jahren hat man sie
auch wieder als synonym angesehn.
II
Es ist Schade, daß « Dialektik »
und « Logik » von Alters her als Synonyme gebraucht sind,
und es mir daher nicht recht
frei steht, ihre Bedeutung zu sondern, wie ich
sonst möchte, und « Logik » (von logizesJai,
überdenken, überrechnen, – von
logoV, Wort und Vernunft, die unzertrennlich
sind) zu definieren, « die Wissenschaft von den Gesetzen des
Denkens, d. h.
von der Verfahrungsart der Vernunft »
– und « Dialektik » (von dialegesJai, sich
unterreden : jede Unterredung teilt aber
entweder Tatsachen oder Meinungen mit : d. h. ist
historisch, oder deliberativ), « die Kunst zu disputieren
» (dies Wort im
modernen Sinne). – Offenbar hat dann die
Logik einen rein apriori, ohne empirische Beimischung
bestimmbaren
Gegenstand, die Gesetze des Denkens, das
Verfahren der Vernunft (des logoV), welches diese, sich selber
überlassen, und
ungestört, also beim einsamen Denken eines
vernünftigen Wesens, welches durch nichts irregeführt
würde, befolgt.
Dialektik hingegen würde handeln von der
Gemeinschaft zweier vernünftiger Wesen, die folglich zusammen
denken,
woraus sobald sie nicht wie zwei gleichgehende
Uhren übereinstimmen, eine Disputation, d. i. ein geistiger
Kampf wird.
Als reine Vernunft müßten beide
Individuen übereinstimmen. Ihre Abweichungen entspringen aus
der Verschiedenheit, die
der Individualität wesentlich ist, sind also
ein empirisches Element. Logik, Wissenschaft des Denkens, d. i. des
Verfahrens
der reinen Vernunft, wäre also rein apriori
konstruierbar ; Dialektik großen Teils nur a posteriori aus
der
Erfahrungserkenntnis von den Störungen, die
das reine Denken durch die Verschiedenheit der Individualität
beim
Zusammendenken zweier Vernünftiger Wesen
erleidet, und von den Mitteln, welche Individuen
gegeneinander
gebrauchen, um jeder sein individuelles Denken,
als das reine und objektive geltend zu machen. Denn die
menschliche
Natur bringt es mit sich, daß wenn beim
gemeinsamen Denken, dialegesJai, d. h. Mitteilen von Meinungen
(historische
Gespräche ausgeschlossen) A erfährt,
daß B’s Gedanken über denselben Gegenstand von
seinen eigenen abweichen, er
nicht zuerst sein eignes Denken revidiert, um den
Fehler zu finden, sondern diesen im fremden Denken voraussetzt : d.
h.
der Mensch ist von Natur rechthaberisch ; und was
aus dieser Eigenschaft folgt, lehrt die Disziplin, die ich
Dialektik
nennen möchte, jedoch um Mißverstand zu
vermeiden, « Eristische Dialektik » nenne will. Sie
wäre demnach die Lehre
vom Verfahren der dem Menschen natürlichen
Rechthaberei.
[1] Bei den Alten werden Logik und Dialektik
meistens als Synonyme gebraucht : bei den Neueren ebenfalls.
[2] Eristik wäre nur ein härteres Wort
für dieselbe Sache. – Aristoteles (nach Diog. Laert. V,
28) stellte zusammen Rhetorik
und Dialektik, deren Zweck die Überredung,
to piJanon, sei ; sodann Analytik und Philosophie, deren Zweck die
Wahrheit.
– Dialektikh de esti tecnh logwn, di’
hV anaskeuazomen ti h kataskeuazomen, ex erwthsewV kai apokrisewV
tvn
prosdialegomenwn, Diog. Laert. III, 48 in vita
Platonis. – Aristoteles unterscheidet zwar 1. die Logik oder
Analytik, als die
Theorie oder Anweisung zu den wahren
Schlüssen, den apodiktischen ; 2. die Dialektik oder Anweisung
zu den für wahr
geltenden, als wahr kurrenten – endoxa,
probabilia (Topik, I, 1 und 12) – Schlüssen, wobei zwar
nicht ausgemacht ist, daß
sie falsch sind, aber auch nicht, daß sie
wahr (an und für sich) sind, indem es darauf nicht ankommt.
Was ist denn aber dies
anders als die Kunst, Recht zu behalten,
gleichviel ob man es im Grunde habe oder nicht ? Also die Kunst,
den Schein der
Wahrheit zu erlangen unbekümmert um die
Sache. Daher wie anfangs gesagt. Aristoteles teilt eigentlich die
Schlüsse in
logische, dialektische, so wie eben gesagt : dann
3. in eristische (Eristik), bei denen die Schlußform richtig
ist, die Sätze
selbst aber, die Materie, nicht wahr sind,
sondern nur wahr scheinen, und endlich 4. in sophistische
(Sophistik), bei denen
die Schlußform falsch ist, jedoch richtig
scheint. Alle drei letzten Arten gehören eigentlich zur
eristischen Dialektik, da sie
alle ausgehn nicht auf die objektive Wahrheit,
sondern auf den Schein derselben, unbekümmert um sie selbst,
also auf das
Recht behalten. Auch ist das Buch über die
Sophistischen Schlüsse erst später allein ediert : es war
das letzte Buch der
Dialektik. [3] Machiavelli schreibt dem
Fürsten vor, jeden Augenblick der Schwäche seines
Nachbarn zu benutzen, um ihn
anzugreifen : weil sonst dieser einmal den
Augenblick benutzen kann, wo jener schwach ist. Herrschte Treue
und
Redlichkeit, so wäre es ein andres : weil
man sich aber deren nicht zu versehn hat, so darf man sie nicht
üben, weil sie
schlecht bezahlt wird : – eben so ist es
beim Disputieren : gebe ich dem Gegner Recht, sobald er es zu haben
scheint, so
wird er schwerlich dasselbe tun, wann der Fall
sich umkehrt ; er wird vielmehr per nefas verfahren : also muß
ich’s auch.
Es ist leicht gesagt, man soll nur der Wahrheit
nachgehn ohne Vorliebe für seinen Satz ; aber man darf nicht
voraussetzen,
daß der Andre es tun werde : also darf
man’s auch nicht. Zudem, wollte ich, sobald es mir scheint,
er habe Recht, meinen
Satz aufgeben, den ich doch vorher durchdacht
habe ; so kann es leicht kommen, daß ich, durch einen
augenblicklichen
Eindruck verleitet, die Wahrheit aufgebe, um den
Irrtum anzunehmen.
[4] Doctrina sed vim promovet insitam.
[5] Und andrerseits ist er im Buche de elenchis
sophisticis wieder zu sehr bemüht, die Dialektik zu trennen
von der
Sophistik und Eristik : wo der Unterschied darin
liegen soll, daß dialektische Schlüsse in Form und Gehalt
wahr, eristische
oder sophistische (die sich bloß durch den
Zweck unterscheiden, der bei ersteren [Eristik] das Rechthaben an
sich, bei
letztern [Sophistik] das dadurch zu erlangende
Ansehn und das durch dieses zu erwerbende Geld ist) aber falsch
sind. Ob
Sätze dem Gehalt nach wahr sind, ist immer
viel zu ungewiß, als daß man daraus den
Unterscheidungsgrund nehmen sollte
; und am wenigsten kann der Disputierende selbst
darüber völlig gewiß sein : selbst das Resultat der
Disputation gibt erst
einen unsichern Aufschluß darüber. Wir
müssen also unter Dialektik des Aristoteles Sophistik,
Eristik, Peirastik
mitbegreifen und sie definieren als die Kunst, im
Disputieren Recht zu behalten : wobei freilich das größte
Hilfsmittel ist,
zuvörderst in der Sache Recht zu haben ;
allein für sich ist dies bei der Sinnesart der Menschen nicht
zureichend und
andrerseits bei der Schwäche ihres
Verstandes nicht durchaus notwendig : es gehören also noch
andre Kunstgriffe dazu,
welche, eben weil sie vom objektiven Rechthaben
unabhängig sind, auch gebraucht werden können, wenn man
objektiv
Unrecht hat : und ob dies der Fall sei, weiß
man fast nie ganz gewiß. Meine Ansicht also ist, die Dialektik
von der Logik
schärfer zu sondern, als Aristoteles getan
hat, der Logik die objektive Wahrheit, so weit sie formell ist, zu
lassen, und die
Dialektik auf das Rechtbehalten zu
beschränken ; dagegen aber Sophistik und Eristik nicht so von
ihr zu trennen, wie
Aristoteles tut, da dieser Unterschied auf der
objektiven materiellen Wahrheit beruht, über die wir nicht
sicher zum voraus
im klaren sein können, sondern mit Pontius
Pilatus sagen müssen : was ist die Wahrheit ? – denn
veritas est in puteo : en
buJv h alhJeia : Spruch des Demokrit, Diog.
Laert. IX, 72. Es ist leicht zu sagen, daß man beim Streiten
nichts anderes
bezwecken soll als die Zutageförderung der
Wahrheit ; allein man weiß ja noch nicht, wo sie ist : man
wird durch die
Argumente des Gegners und durch seine eigenen
irregeführt. – Übrigens re intellecta, in verbis
simus faciles : da man den
Namen Dialektik im Ganzen für
gleichbedeutend mit Logik zu nehmen pflegt, wollen wir unsre
Disziplin Dialectica
eristica, eristische Dialektik nennen.
[6] (Man muß allemal den Gegenstand einer
Disziplin von dem jeder andern rein sondern.)
[7] Die Begriffe lassen sich aber unter gewisse
Klassen bringen, wie Genus und Species, Ursache und Wirkung,
Eigenschaft und Gegenteil, Haben und Mangel, u.
dgl. m. ; und für diese Klassen gelten einige allgemeine
Regeln : diese
sind die loci, topoi. – Z. B. ein Locus von
Ursache und Wirkung ist : «die Ursache der Ursache ist Ursache
der Wirkung»
[Christian Wolff, Ontologia, § 928],
angewandt : «die Ursache meines Glücks ist mein Reichtum
: also ist auch der,
welcher mir den Reichtum gab, Urheber meines
Glücks.» Loci von Gegensätzen : 1. Sie
schließen sich aus, z. B. grad und
krumm. 2. Sie sind im selben Subjekt : z. B. hat
die Liebe ihren Sitz im Willen (epiJumhtikon), so hat der Haß
ihn auch. –
Ist aber dieser im Sitz des Gefühls
(JumoeideV), dann die Liebe auch. – Kann die Seele nicht
weiß sein, so auch nicht
schwarz. – 3. Fehlt der niedrigre Grad, so
fehlt auch der höhere : ist ein Mensch nicht gerecht, so ist
er auch nicht
wohlwollend. – Sie sehn hieraus, daß
die Loci sind gewisse allgemeine Wahrheiten, die ganze Klassen von
Begriffen
treffen, auf die man also bei vorkommenden
einzelnen Fällen zurückgehn kann, um aus ihnen seine
Argumente zu
schöpfen, auch um sich auf sie als allgemein
einleuchtend zu berufen. Jedoch sind die meisten sehr trüglich
und vielen
Ausnahmen unterworfen : z. B. es ist ein locus :
entgegengesetzte Dinge haben entgegengesetzte Verhältnisse, z.
B. die
Tugend ist schön, das Laster
häßlich. – Freundschaft ist wohlwollend, Feinschaft
übelwollend. – Aber nun :
Verschwendung ist ein Laster, also Geiz eine
Tugend ; Narren sagen die Wahrheit, also lügen die Weisen :
geht nicht. Tod
ist Vergehn, also Leben Entstehn : falsch.
Beispiel von der Trüglichkeit solcher topi : Scotus Eriugena
im Buch de
praedestinatione, Kap. 3, will die Ketzer
widerlegen, welche in Gott zwei praedestinationes (eine der
Erwählten zum Heil,
eine der Verworfnen zur Verdammnis) annahmen, und
gebraucht dazu diesen (Gott weiß woher genommnen) topus
:
«Omnium, quae sunt inter se contraria,
necesse est eorum causas inter se esse contrarias ; unam enim
eandemque causam
diversa, inter se contraria efficere ratio
prohibet.» So ! – aber die experientia docet, daß
dieselbe Wärme den Ton hart und
das Wachs weich macht, und hundert ähnliche
Dinge. Und dennoch klingt der topus plausibel. Er baut seine
Demonstration
aber ruhig auf dem topus auf, die geht uns weiter
nichts an. – Eine ganze Sammlung von Locis mit ihren
Widerlegungen
hat Baco de Verulamio zusammengestellt unter dem
Titel Colores boni et mali. – Sie sind hier als Beispiele zu
brauchen. Er
nennt sie Sophismata. Als ein Locus kann auch das
Argument betrachtet werden, durch welches im Symposium
Sokrates
dem Agathon, der der Liebe alle vortrefflichen
Eigenschaften, Schönheit, Güte usw. beigelegt hatte, das
Gegenteil beweist :
«Was einer sucht, das hat er nicht : nun
sucht die Liebe das Schöne und Gute ; also hat sie solche
nicht.» Es hat etwas
Scheinbares, daß es gewisse allgemeine
Wahrheiten gäbe, die auf alles anwendbar wären und durch
die man also alle
vorkommenden einzeln noch so verschiedenartigen
Fälle, ohne näher auf ihr Spezielles einzugehn,
entscheiden könnte.
(Das Gesetz der Kompensation ist ein ganz guter
locus.) Allein es geht nicht, eben weil die Begriffe durch
Abstraktion von
den Differenzen entstanden sind und daher das
Verschiedenartigste begreifen, welches sich wieder hervortut, wenn
mittels
der Begriffe die einzelnen Dinge der
verschiedensten Arten aneinandergebracht werden und nur nach den
obern Begriffen
entschieden wird. Es ist sogar dem Menschen
natürlich beim Disputieren, sich, wenn er bedrängt wird,
hinter irgend einen
allgemeinen topus zu retten. Loci sind auch die
lex parsimoniae naturae ; – auch : natura nihil facit
frustra. – Ja, alle
Sprichwörter sind loci mit praktischer
Tendenz.
[8] Oft streiten zwei sehr lebhaft ; und dann
geht jeder mit der Meinung des Andern nach Hause : sie haben
getauscht.
[9] Nach Diogenes Laertius gab es unter den
vielen rhetorischen Schriften des Theophrastos, die sämtlich
verloren
gegangen, eine, deren Titel war
‘Agwnistikon thV peri touV eristikouV logouV JewriaV. Das
wäre unsre Sache.
[10] Widerspricht sie einer ganz unbezweifelbaren
Wahrheit gradezu, so haben wir den Gegner ad absurdum
geführt.
[11] (Die absichtlich ersonnenen Fälle sind
nie fein genug, um täuschend zu sein ; man muß sie also
aus der wirklichen
eignen Erfahrung sammeln. Es wäre sehr gut,
wenn man jedem Kunstgriff einen kurzen und treffend bezeichnenden
Namen
geben könnte, mittels dessen man,
vorkommenden Falls, den Gebrauch dieses oder jenes Kunstgriffs
augenblicklich
verwerfen könnte.)
[12] Sophisma a dicto secundum quid ad dictum
simpliciter. Dies ist des Aristoteles zweiter elenchus sophisticus
exw thV
lexewV : – to aplvV, h mh aplvV, alla ph h
pou, h pote, h proV ti legesJai, Sophistische Widerlegungen,
5.
[13] Gehört zum vorhergehenden.
[14] (Dies ist der rechte Anfang der
Dialektik.)